Abtauchen aus dem Alltag

Das war ein Tag. In der Früh schon die Auseinandersetzung mit David. Warum eine zerschlissene Jeans eines Vierzehnjährigen immer gleich zu einem Generationenkonflikt ausartet? Der Klärungsversuch mit dem Klassenvorstand der Tochter, warum sie immer stiller und abwesender wird, war auch eher kläglich. Dann schnell in den Verlag einige Abdruckrechte klären. Um elf Uhr Termin beim Friseur. Mein verspannter Nacken macht das Haare waschen zur Qual. "Hoffart muss leiden", hör' ich meine Mutter nörgeln.

Die Vorstellung heute Abend mit hochhakigen Schuhen meinen Mann auf diesen Wohltätigkeitsball zu begleiten, trägt nicht wesentlich zur Verbesserung meiner Laune bei. Müde stehe ich in der Küche und schiebe lustlos drei Fertigpizzen ins Rohr. "Meine grüne Freundin organisiert Vollwertkochkurse und ich ... ?", meldet sich mein Ernährungsgewissen.

Das Mittagessen verläuft relativ angenehm. David ist noch immer beleidigt und spricht kaum. Lena erzählt für ihre Verhältnisse euphorisch vom neuen Schulprojekt -"Fremdes muss nicht fremd bleiben". Dann der verständnisvolle Anruf meiner Freundin: "Wieso bist du immer so gestresst? Du arbeitest doch ohnehin nur mehr freiberuflich?" Das ist noch das Tüpfelchen! Und jetzt bin ich auf dem Weg zu dieser Pulsing-Sitzung. Ein denkbar schlechter Tag, um sich entspannt massieren zu lassen. Ulli hat mir von der Methode zum Stressabbau erzählt. Und ich dachte mir, das wäre was für die "Atempause". In drei Stunden soll ich fertig für den Ball sein. Lena muss ich noch zu Denise führen. Sie will noch immer nicht allein zu Hause schlafen. Sie ist doch schon zwölf. David wird wieder die halbe Nacht vor dem Computer verbringen. Ich muss noch ...

Puh! Angekommen. - Ich werde freundlich begrüßt. Tee wird mir angeboten. Wir plaudern. Die Pulserin, Gaby, erklärt mir, wie sich die Sitzung gestalten wird. Ich merke, dass ich mich in dem Raum wohl fühle, dass mir die Frau sympathisch ist. Ich habe mich schon vorher mehrmals mit ihr getroffen und gut mit ihr reden können.

Wir fangen an. Ich lege meinen Schmuck ab, ziehe die Jacke aus und lege mich auf den Massagetisch. Ich merke, wie müde ich bin. Gaby erklärt mir, dass ich die Augen schließen soll, dass wir während der Behandlung nicht miteinander reden werden, außer mir ist etwas unangenehm; dann soll ich das sagen.

Es gelingt mir anfangs schwer, mich auf die Atemübungen einzulassen. Doch ich finde den Rhythmus, etwas gehetzt zwar, aber doch. Ich nehme wahr, dass sie sich die Hände einölt, ich rieche einen zarten Duft, spüre warme Hände an meinen Hüften, die leicht vibrieren -gutes Gefühl.

Ich denke über die Überschrift für den Artikel nach, warte, welches Bild kommt, und habe das Gefühl zu tauchen. Ohne Taucherbrille, ohne Maske, schwerelos. Ich fange an das Gefühl zu genießen, mich auf diese Hände einzulassen, die mittlerweile bei meinen Füßen angelangt sind. Manchmal muss ich über meine anfänglichen Vorbehalte gegen diese Massagetechnik und den Ablauf des heutigen Tages lächeln. Das Pulsen meines Bauches kitzelt wider Erwarten nicht. Die Schultern, der Kopf, das Gesicht - ich spüre, wie ich den heutigen Tag loslassen kann. Das erleichtert!

Schade, dass es zu Ende ist. Wir trinken noch eine Tasse Tee, tauschen uns über unsere Wahrnehmungen während des Pulsings aus. Wir lassen offen, wann wir die nächste Sitzung machen. Ich verabschiede mich. Ich trete in den lauen Frühlingsabend hinaus und freue mich auf den Ball, auf das Tanzen mit meinem Mann.

Elisabeth Birklhuber
entnommen aus
ATEMPAUSE 2003